ILLIG ASTROLAB BORST

Eine "ganz entscheidende Unwahrheit"

"Der Verlag stöhnt über die Fülle von Fußnoten, die ich ihm zumute, was ja bedeutet, dass die Sachen ordentlich belegt sind. Und selbst die Wissenschaftler müssen zähneknirschend akzeptieren, dass sie da nichts rausbrechen können. Ich brauche kein grünes Männchen. Hier steht eine astreine Argumentation, die eben bisher nicht ausgehebelt werden konnte." (Heribert Illig im Interview mit Roland Detsch)

An Fußnoten mangelt es bei Illig wahrlich nicht, doch folgt daraus auch eine "astreine Argumentation"? Meine bisherige Erfahrung ist, dass Illig zwar mit astronomischen Begriffen um sich wirft, sie aber nicht begriffen hat. Und so sind auch bei der folgenden Argumentation, die logisch wie aus einem Guss zu sein scheint, Zweifel angebracht.

Im Kapitel "Ptolemäus im Zeugenstand" seines Buches "Wer hat an der Uhr gedreht?" (Seite 145 f.) behandelt Illig zunächst Robert R. Newtons Einschätzung von Ptolemäus' Almagest, der durchaus noch zuzustimmen ist, um dann folgende Wende einzuleiten:

"Newton erwähnt, dass Ptolemäus laut eigenem Bekunden die Beobachtungen von Jupiter und Saturn, also jener von Schlosser herangezogenen Planeten, mit einem Astrolab gemacht habe. Dazu hat Borst eine dezidierte Meinung: 'Das angeblich von Ptolemäus erfundene, tatsächlich erst um 400 in Alexandria entwickelte Astrolab war den Byzantinern seit etwa 530 vertraut.'
So überführt Borst den vermeintlich größten Astronomen des Altertums einer weiteren, ganz entscheidenden Unwahrheit." (Illig, Seite 147, Borsts "Das Buch der Naturgeschichte" zitierend, Seite 81)

Die Logik scheint zwingend und durch zwei Autoritäten bekräftigt: wenn der Almagest angeblich aus dem 2. Jahrhundert stammen solle, aber darin laut Newton ein Instrument beschrieben wird, das laut Borst erst ab dem 5. Jahrhundert bekannt war, dann ist mit Ptolemäus grundsätzlich etwas faul, so "dass das Entstehen dieses Werkes auch deutlich später vermutet wird." (ebenda, Seite 147) Der Almagest wäre demnach überhaupt nicht als halbwegs zuverlässige Quelle antiker Astronomie zu betrachten.

Richtig ist: "Am Anfang des fünften Buches beschreibt Ptolemaios ein Beobachtungsinstrument, das Astrolabon, das später Armillarsphäre genannt wurde. Mit diesem Instrument kann man die Längen und Breiten des Mondes und der Fixsterne messen." (Waerden, Seite 270) Schauen wir uns auf Seite 271 dieses Buches die auf Paul Rome zurückgehende Abbildung an, dann handelt es sich dabei um ein kugelförmiges, aus mehreren Ringen zusammengesetztes Instrument. "Die Armillarsphäre gehört zu den ältesten astronomischen Geräten der Menschheit. Ihren Namen hat sie allerdings erst im christlichen Mittelalter erhalten, wo sie sphaera armillaris oder kurz armille hieß (von griechich: sphaira 'Kugel' und lateinisch: armilla 'Armreif, Ring'), also eine 'Kugel aus Ringen'. Man kann sie als einen Himmelsglobus beschreiben, der auf die Ringe reduziert ist, welche die Hauptkreise der Gestirnsbewegungen darstellen." (Hünig, Seite 38)

Aber es gibt noch ein anderes Instrument, das ebenfalls Astrolab ("Sterngreifer") genannt wird, das aber ganz anders aussieht, nämlich scheibenförmig, grob unseren drehbaren Sternkarten ähnelnd, und "das sich bei den späteren Arabern und Persern großer Beliebtheit erfreute." (Waerden, Seite 101, siehe auch Abb. 16, Seite 102) "Im wesentlichen ist es ein zweidimensionales Modell des Himmels, ein analoger Computer zur Lösung von Problemen aus der sphärischen Astronomie." (Gingerich, Seite 105)

Wir haben es also mit zwei ganz unterschiedlichen Instrumenten zu tun, die manchmal mit demselben Namen bezeichnet wurden: das eine ist das im Almagest beschriebene kugelförmige Astrolab bzw. die Armillarsphäre und das andere das scheibenförmige, "eigentliche" Astrolab. Um hier einer Verwechselung vorzubeugen, merkt der Herausgeber und Übersetzer des Almagest deshalb gleich zu Anfang des fünften Buches an: "In modern terms, it is an 'armillary sphere'. The adjective 'astrolabe' applied to it and to its parts simply means 'for taking [the position of] the stars', and has nothing to do with the instrument to which the name 'astrolabe' is now usually applied". (Toomer, Seite 217, Fußnote 1)

Und was meint Borst, wenn er von einem "Astrolab" spricht? Zu erwarten ist, dass er damit das scheibenförmige Astrolab meint. Ein erster Hinweis findet sich in seinem Buch "Computus", das verschiedene Abbildungen zeigt: eine Armillarsphäre auf Seite 6, die auch als "Armillarsphäre" bezeichnet wird (Seite 4), und je ein "Astrolab" auf den Seiten 60 und 64, das scheibenförmig ist. Wenn Borst in "Computus" von einem "Astrolab" spricht, dann ist hiermit immer das scheibenförmige Astrolab gemeint.

Sehen wir uns nun "Das Buch der Naturgeschichte" an, aus dem Illig zitiert und womit er eine "ganz entscheidende Unwahrheit" aufzudecken glaubt (siehe Borst, Das Buch der Naturgeschichte, Seite 81). Das Zitat ist von Illig richtig wiedergegeben, jedoch geht aus dem Kontext hervor, dass auch hier das scheibenförmige Astrolab gemeint ist. Eine Definition dessen, was Borst unter "Astrolab" versteht, finden wir in diesem Buch freilich nicht, allerdings am Ende dieses Absatzes den Hinweis (ebenda, Seite 82, Fußnote 11), dass Näheres dazu in seinem Buch "Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende" zu finden sei.

Und hier steht es dann: "Was ein Astrolab ist, sagt das [Konstanzer] Fragment selbst: ein kleines, flaches, transportables Instrument zum Anvisieren von Fixsternen und Planeten." (Borst, Astrolab, Seite 13)

"Wer auf diese geniale Idee gekommen war, [die Fundamentalkreise der Himmelssphäre auf eine Fläche abzubilden], wusste kein antiker Autor zuverlässig anzugeben. Über die Mutmaßungen der Alten kommt auch die moderne Forschung kaum hinaus. Sie denkt an den Geometer Apollonios von Perge, um 210 vor Christus. Bei der Arbeit an seinem Lehrbuch über ebene Schnitte von Kreiskegeln, das nur teilweise erhalten ist, könnte er die stereografische Projektion entwickelt haben. In Frage käme ferner der Astronom und Geograf Hipparchos von Nikaia, der um 150 vor Christus die Himmelserscheinungen präzis beobachtete. Durch Apollonios oder Hipparchos wurde das Astrolab ermöglicht, noch nicht verwirklicht." (ebenda, Seite 15)

Auch dass das Astrolab von Ptolemäus stammen könnte, weist Borst zurück: "Dass er selbst das planisphärische Astrolab erfand, wird seit tausend Jahren immer wieder behauptet. Es wird aber immer unwahrscheinlicher, je gründlicher die Forschung neben seinen überlieferten Aussagen deren Textgeschichte bedenkt." (ebenda, Seite 17)

Wie stellt sich also die Lage nach Borst, kurz gesagt, dar? Wir haben bei Ptolemäus bzw. im Almagest - dessen Datierung um 150 n. Chr. Borst überhaupt nicht in Frage stellt - einerseits verschiedene astronomische Instrumente beschrieben, wie z.B. Armillen, also ringförmige Visiereinrichtungen, die zusammengesetzt ein Modell der Fundamentalkreise der Himmelskugel ergeben, dessen Gerüst. Eine solche Armillarsphäre kann für Demonstrationen im Sinne eines "Planetariums" verwendet werden, aber auch, größer dimensioniert, als Beobachtungsinstrument.

Andererseits lagen zur Zeit des Ptolemäus auch schon die mathematischen Theorien vor, um eine solche Himmelskugel auf die Ebene abzubilden, so dass daraus ein scheibenförmiges Astrolab entstehen konnte. Aber bis dann langsam ein praktikables Gerät herauskam und es als nützlich erachtet wurde, vergingen nach Borst eben einige Jahrhunderte. Die ersten Vorläufer des Astrolabs sehen wir ca. 400 in Alexandria. Jedoch: "Endgültig wurde die Kluft zwischen Theorie und Praxis wohl erst in der Frühphase des byzantinischen Mittelalters geschlossen. Jedenfalls war der planisphärische 'Sterngreifer' ... seit etwa 530 in Alexandria bekannt, wo ihm der erste christliche Naturwissenschaftler Johannes Philoponos eine Gebrauchsanweisung widmete". (ebenda, Seite 19) Von den Byzantinern, die mit dem Astrolab weiter nicht viel anzufangen wussten, ging das Wissen auf die Araber über, die es zu einem Universalinstrument mit vielfachen Verwendungsmöglichkeiten machten, wo es dann auch um die Jahrtausendwende über Spanien den Weg in den christlichen Norden fand. (siehe auch Borst, Wie kam die arabische Sternkunde ins Kloster Reichenau?)

Der Schluss Illigs stellt sich als Fehlschluss heraus, da mit "Astrolab" in den beiden Passagen zwei unterschiedliche Dinge bezeichnet werden, "A" innerhalb eines formallogischen Schlusses also zu einem "Nicht-A" wird. Würde etwa im ersten Satz von einem "kugelförmigen Astrolab" gesprochen werden und danach von einem "scheibenförmigen Astrolab", und würde darüber hinaus noch verdeutlicht, dass die Projektion der Himmelskugel auf eine Himmelsfläche sowohl mathematische Einsicht als auch viele handwerkliche Versuche erforderlich machte, damit daraus ein nützliches astronomisches Universalgerät hervorgehen konnte, dann löst sich der "Unvereinbarkeits"-Schluss Illigs ganz einfach in eine historische Reihenfolge und Entwicklung auf, worüber Borst eben eine "dezidierte Meinung" hat.

Zugegeben: es ist ein gemeines Verwirrspiel, das hier abläuft, und "Astrolab" mit "Astrolab" zu verwechseln, kann eigentlich jedem von uns gemäß "Irren ist menschlich" passieren. Wenn aber einer behauptet, eine "astreine Argumentation" zu betreiben, dann wäre zu erwarten gewesen, dass er zumindest vor der Bekanntgabe einer "ganz entscheidenden Unwahrheit" sich in das Thema genauer eingearbeitet hätte:

"Im Fall des Astrolabs habe ich die Frühgeschichte dort behandelt, wo sie das Thema war, in der Heidelberger Akademie-Abhandlung 'Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende', 1989, S. 13-21. Dort ist S. 17 Anm. 18 klipp und klar gesagt, dass es nicht Ptolemaeus war, der die Erfindung für sich beanspruchte, und im 'Buch der Naturgeschichte', 1995, S. 81f. ist ausdrücklich auf meine Astrolab-Schrift verwiesen, so dass jedem klar ist, wen ich mit 'angeblich' meinte - spanische Autoren des 10. Jahrhunderts nämlich." (Prof. Dr. Arno Borst, Konstanz, Brief an mich vom 8.6.2000)

Literatur:

Detsch, Roland: Ketzer oder Scharlatan? Ein Gespräch mit dem Zeitforscher Heribert Illig, Millenium Spezial von CPW (Context Politik + Wissenschaft), "http://www.cpw-online.com/illig1.html".

Borst, Arno: Wie kam die arabische Sternkunde ins Kloster Reichenau?, Konstanz 1988.

Borst, Arno: Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende, Heidelberg 1989.

Borst, Arno: Das Buch der Naturgeschichte. Plinius und seine Leser im Zeitalter des Pergaments, Heidelberg 1995 (2. Auflage).

Borst, Arno: Computus, Zeit und Zahl in der Geschichte Europas, München 1999 (2. Auflage).

Gingerich, Owen: Die islamische Periode der Astronomie, Spektrum der Wissenschaft 4/1986.

Hünig, Klaus: Handreichungen für eine Einführung in die Himmelskunde, Würzburg 2000 (AstroMedia-Verlag).

Illig, Heribert: Wer hat an der Uhr gedreht?, München 1999.

Waerden, B. L. van der: Die Astronomie der Griechen. Eine Einführung, Darmstadt 1988.

Toomer, G. J. (Hrsg.): Ptolemy's Almagest, Princeton 1998.



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